Holocaust-Zeitzeugin zu Gast

Am 27.01.2023 war die Holocaust-Überlebende Ruth Michel für einen Vortrag an der Hedwig-Dohm-Schule, in welchem sie über ihr Leben berichtete. Anschließend stellte sie sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler.

„Von den Ermordeten zu berichten, empfinde ich als meine Pflicht.“  – So begann der autobiografische Vortrag der heute 94-jährigen Ruth Michel. Das ist es, was sie antreibt, jungen Menschen ihre Lebensgeschichte zu erzählen, die vom unendlichen Leid durch die Schoa geprägt ist. „Damit so etwas nie wieder passiert.“

Die 1928 in Königsberg geborene Jüdin war nie in einem Konzentrationslager, doch sie erlebte die bestialischen Taten der Nationalsozialisten während des Holocaust im damals polnischen, heute ukrainischen Dorf Mykulytschyn nahe der rumänischen Grenze am Fluss Pruth. Sehr still war es in der Aula der Hedwig-Dohm-Schule an diesem Freitagvormittag, an dem über hundert Schülerinnen und Schüler den Worten Michels gebannt zuhörten. Worte, die zu lebendigen Bildern in den Köpfen der Jugendlichen wurden und ihnen sichtlich unter die Haut fuhren.

Sie erzählte, wie sie mit ihrer Familie, ihrem jüdischen Vater, der christlichen Mutter und ihrer kleinen Schwester nach der Machtergreifung durch Hitler aus Ostpreußen fliehen musste nach Mykulytschyn, wo sie als Kind ohne Polnischkenntnisse schlimmen Mobbing-Erlebnissen ausgesetzt war. Wie ihr Vater zum Schutz seiner Lieben die Familie verließ und der 13-jährigen Ruth die Verantwortung für die Familie übertrug. „Eine Kindheit hatte ich nie“, berichtete sie, denn der tägliche Überlebenskampf unter der deutschen Besatzung, die allgegenwärtige Schikane der Juden, die Nahrungsmittelknappheit und die Existenzangst setzten der jungen Frau stark zu. Sie ist heute noch sichtlich geprägt vom tragischen Tod ihres Vaters, der 1941 zusammen mit 205 weiteren Jüdinnen und Juden von den Nazis Im Wald von Mykulytschyn kaltblütig erschossen und in einem Massengrab verscharrt wurde. 2010 kehrte sie zu diesem Ort zurück, um das Grab herzurichten und eine Gedenktafel anbringen zu lassen.

Nach einem Moment der Sprachlosigkeit und Erschütterung angesichts dieser schwer fassbaren Gräueltaten entstand im Dialog mit der Zeitzeugin und den anwesenden jungen Menschen ein Raum der Begegnung, der die Fragen der Schülerinnen und Schüler zuließ. Mit viel Empathie stillte Ruth Michel schließlich den Wissensdurst der Jugendlichen, die das Thema auch im nachfolgenden Unterricht noch beschäftigen wird. Denn diese nicht-alltägliche Begegnung ist eine weitere Vertiefung im Dialog mit den jungen Menschen unbedingt wert.

 

Text und Bilder: Katalin Suhai