„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen…“

Am 09.11.2023 fand an der Hedwig-Dohm-Schule Stuttgart am Gedenktag zur Reichspogromnacht eine Veranstaltung besonderer Art statt. Mit einem Konzert aus Lesung und Kammermusik mit dem Schauspieler Roman Knizka und dem Ensemble OPUS 45 wurden Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland eindrücklich problematisiert.

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: Darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ – Der Titel der Veranstaltung, ein Zitat des italienischen Schriftstellers und Auschwitz-Überlebenden Primo Levi bringt die Intention der eineinhalbstündigen musikalischen Lesung an der Hedwig-Dohm-Schule in Stuttgart auf den Punkt, im Gedenken an die Verbrechen des Holocaust nicht nachzulassen.

Gekonnt fügte sich die künstlerische Darbietung in das schulische Umfeld ein, wenn der Schauspieler Roman Knizka, der in zahlreichen TV-Dramen, „Tatorten“ und Kinoproduktionen mitgewirkt hat, in großen, blutroten Lettern das Datum „24.12.1959“ auf ein Flipchart malte, an dem damals die Kölner Synagoge mit antisemitischen Schmierereien geschändet wurde. Ebenso sprachlos hinterließ die Anwesenden die unmittelbar danach großflächig projizierte Rede Konrad Adenauers im Januar 1960 als Reaktion darauf, in der rechte Gewalttaten als „Flegeleien“ verharmlost wurden, mit der Beteuerung, unter den Deutschen gebe es keine Nazis. Mal mit Beamer und Leinwand, mal mit einer kleinen Tafel – mit unterschiedlichen Medien aus dem schulischen Kontext wurden schlaglichtartig einschneidende Ereignisse in der Entwicklung der extremen Rechten seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland beleuchtet. Vom Anschlag auf Rudi Dutschke über das Oktoberfestattentat in München bis zu den Terrorakten des NSU – Roman Knizka schaffte es durch seine Rezitation und seine markante Stimme, die volle Aula der Hedwig-Dohm-Schule in einen Theatersaal zu verwandeln und den rechtsextremen Terror erschreckend lebendig werden zu lassen.

Dort, wo das Sprachliche aufhört und wo das Ringen um Worte angesichts der menschlichen Abgründe beginnt, durchdrangen immer wieder dissonante Klänge die Zuschauerinnen und Zuschauer bis ins tiefste Innere und machten den Schock des unfassbaren Geschehens körperlich spürbar. Mit Werken von Paul Hindemith, Pavel Haas und György Ligeti – drei Komponisten, die auf unterschiedliche Weise Opfer von Holocaust und nationalsozialistischer Diktatur wurden – untermalte das hochkarätige Bläserquintett „OPUS 45“ die Lesung. Als musikalischer Kommentar oder als Kontrapunkt zur Lesung machte das Ensemble das literarisch-musikalische Kunstwerk ganzheitlich erfahrbar, wobei die bisweilen schneidende Grellheit der Töne als für viele Schülerinnen und Schüler bisher ungewohntes musikalisches Erlebnis eine wachrüttelnde Wirkung erwies. Diktaturen lieben keine Dissonanzen – soll György Ligeti gesagt haben – die Lust am Spiel, die Experimentierfreude und die Freiheit im Denken wurden durch die Auswahl der Stücke gelungen verkörpert.

Ermöglicht wurde diese außergewöhnliche schulische Veranstaltung durch die Initiative „SCORA“ (Schools opposing Racism and Antisemitism), die Schulen in ganz Baden-Württemberg bei der Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus unterstützt und dabei u.a. Schulpartnerschaften mit israelischen Schulen gestaltet (www.scora-bw.de). Schulleiter Sven Brockmeier bedankte sich insbesondere bei Claudia Rugart, Abteilungspräsidentin Schule und Bildung im Regierungspräsidium Stuttgart und Leiterin von „SCORA“. Auch die Hedwig-Dohm-Schule Stuttgart, in der zahlreiche Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur gemeinsam lernen, steht ein für eine Schulkultur, in welcher Vielfalt und Unterschiedlichkeit begrüßt und als Bereicherung verstanden werden.

Text und Bilder: Katalin Suhai