13 Jan. Die HDS feiert! 150 Jahre Hedwig-Dohm-Schule-Stuttgart (1874-2024)
Die Hedwig-Dohm-Schule Stuttgart feiert im Jahr 2024 ein Jubiläum besonderer Art und blickt auf eine lange und bewegte Geschichte seit ihrer Gründung 1874 als „Frauenarbeitsschule Stuttgart“ zurück.
Ein ehrfurchtsvolles Staunen lässt sich beim Lesen der alten, vergilbten Zeitungsausschnitte und amtlichen Schriftstücke aus dem reichhaltigen Archiv der Hedwig-Dohm-Schule kaum unterdrücken – beim Blättern durch die über hundert Jahre alten Bücher und zum Teil ungebundenen Papierbündel begegnet man unzähligen Schicksalen und Dokumenten aus einer anderen Zeit.
Es begann im Jahr 1874, als der schwäbische Frauenverein im Hinterhof in der Marienstraße 3 in Stuttgart die „Frauenarbeitsschule Stuttgart“ mit nur 23 Schülerinnen und zwei Lehrerinnen einrichtete. „Die Schule wurde von weitblickenden, sozialdenkenden Frauen in Württemberg gegründet, weil diese erkannten, dass junge Mädchen von ihren ureigensten Lebensgebieten aus zu echter Bildung geführt werden müssen. Die Mädchen sollten größeren Aufgaben zugeführt werden, als sie im damaligen Haustochterdasein lagen.“– schrieb die ehemalige Direktorin Hedwig Rieth 1954 in ihrer Denkschrift zum 80-jährigen Bestehen der Schule über die Anfänge. Von Beginn an wurden viele verschiedene Fächer angeboten: Nähen, Sticken, Zeichnen, Kochen, Waschen, Bügeln, Kinderpflege und Vieles mehr. Im Jahr 1916 übernahm die Stadt Stuttgart die Trägerschaft der Schule, die nun beständig wuchs.
Wie modern die pädagogische Herangehensweise damals in Ansätzen schon war, beschrieb Hedwig Rieth in verblüffender Weise: „Nicht die fadengerade Naht, sondern das brauchbare echte Werk ist das Erziehungsziel“, fasst die langjährige Schulleiterin im Jahr 1954 zusammen, was durchaus an den heutigen Lernfeldunterricht erinnert, bei dem die vollständige Lernhandlung im Fokus steht. Auch wenn pädagogische Grundsätze wie die Schülerzentrierung noch keinen mit heute vergleichbaren Stellenwert hatten, so waren sie dennoch im pädagogischen Denken von damals bereits erkennbar, wenn auch in einem heute antiquiert anmutenden sprachlichen Duktus, wenn Rieth formulierte: „Nicht das Fädchen ist wertvollster Faktor, wohl aber das Mädchen.“ Die Grundhaltung, den Menschen über die Sache zu stellen, wurde von Anfang an als Ideal formuliert: „Dieses Dauern über 80 Jahre erklärt sich, wenn man erkennt, dass bis auf den heutigen Tag den Tausenden von Mädchen und Frauen jenes Mehr für ihr Leben vermittelt wurde, das über Nadel, Faden, Fingerhut hinausreicht: Die Erkenntnis, dass die Persönlichkeit vor der Sache steht.“, fasste Rieth treffend zusammen.
Innerhalb von 80 Jahren war die Frauenarbeitsschule von 1874 bis 1954 auf 1400 Schülerinnen in 22 Klassen mit Vollzeitschülerinnen und 90 Kursen für berufstätige Frauen gewachsen. Die Erfolgsgeschichte der Schule über die Jahrzehnte hinweg wurde nicht getrübt, auch nicht in schwierigen Zeiten: „Unruhe entstand durch die… ‚Wanderschaft‘ der Klassen, verschärft durch zwei Kriege, die alle vorausgegangene Stetigkeit in kulturellen Fragen erschütterten.“, musste Rieth im November 1954 feststellen. Neben den zwei Weltkriegen stellte die Raumnot eine gewaltige Herausforderung für die noch junge Frauenarbeitsschule dar, so dass die Schülerschaft ab 1916 viele Jahrzehnte lang auf zehn unterschiedliche Schulhäuser unter anderem im Stuttgarter Westen in der Falkertschule, in Cannstatt, Feuerbach, Möhringen, Untertürkheim und Zuffenhausen verteilt war.
Umso größer war die Freude, als „nach langer Wanderschaft“, wie ein Zeitungsartikel in den Stuttgarter Nachrichten 1959 titelte, die Grundsteinlegung für einen Neubau in der Ludwigstraße in Stuttgart gefeiert werden konnte und „das lästige Untermietverhältnis in anderen Gebäuden ein Ende…“ fand. In dem 1962 fertiggestellten Gebäude in der Ludwigstraße 111 waren nun die eng miteinander verbundene Frauenarbeitsschule und die Frauenfachschule erstmals unter einem Dach gemeinsam und dauerhaft untergebracht. Fortan wurde die Schule „Hauswirtschaftliche Schule Stuttgart-West“ genannt. 16 Klassenräume, sechs Fachräume, ein Gymnastiksaal, ein Speiseraum und einige weitere Räume standen nun, modern und zweckmäßig ausgestattet, den Schülerinnen und Lehrerinnen zur Verfügung.
Bei der feierlichen Einweihung des Neubaus 1962 überreichten die jungen Auszubildenden dem damaligen Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett als Zeichen der Dankbarkeit selbstgeschneiderte Kinderkleider für Heime. Der stolze OB beglückwünschte das neue Schulzentrum und dankte für die „Pionierarbeit“ bei der Ausbildung von Tausenden von jungen Frauen. Auch das Kultusministerium würdigte die langjährige Arbeit der hauswirtschaftlichen Schulen und hob ihr Alleinstellungsmerkmal in der damaligen Schullandschaft hervor: „Solche Frauenfachschulen, wie die Stuttgarter, gebe es außer in Baden-Württemberg nur noch in der Schweiz.“, zitiert der Zeitungsartikel „Die württembergischen Frauenarbeitsschulen sind vorbildlich“.
Mit den gesellschaftlichen Entwicklungen einhergehend veränderte sich auch das Profil der Schule und es kamen zahlreiche neue Schularten hinzu, wie die Berufskollegs, die Kinderpflegerinnenschule im Jahr 1965 und die Berufsfachschule sowie das Frauenberufliche Gymnasium im Jahr 1967. Dieser Strukturwandel wurde auch durch politische Faktoren begünstigt – so erinnern sich die ehemaligen Abteilungsleiterinnen der Schule Susanne Raab-Deml und Angelika Siebert, dass der Ausbau der beruflichen Gymnasien in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in Baden-Württemberg schulpolitisch stark unterstützt wurde, um es Realschülerinnen und -schülern zu ermöglichen, das Abitur zu machen. Aber auch konkrete verkehrstechnische Neuerungen trugen in den folgenden Jahren zur Entwicklung der Schule bei und seien, wie die beiden ehemaligen Abteilungsleiterinnen berichten, nicht zu unterschätzen, mussten die Schülerinnen und Schüler doch häufig von weit anreisen. Dies wurde durch den Ausbau der Stuttgarter S-Bahn bis zur Schwabstraße in den 70er Jahren massiv erleichtert und stellte somit ebenfalls einen signifikanten Wachstumsfaktor für die Frauenarbeitsschule dar.
Weiter berichten die beiden Zeitzeuginnen Siebert und Raab-Deml auf lebendige Weise, wie sich gesellschaftliche Dynamiken direkt im Schulleben widerspiegeln – so machten sich die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der Studentenproteste und der Frauenbewegung der späten 60er Jahre in der zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft bemerkbar in Bezug auf die familiären Strukturen, die Vorbildung, das Alter – und schließlich auch hinsichtlich des Geschlechts, erinnert sich Angelika Siebert an den ersten männlichen Schüler am Hauswirtschaftlichen Gymnasium in den 70er Jahren. Auch ein wachsendes politisches Bewusstsein sei der Schülerschaft im Laufe der Jahre anzumerken gewesen, was sich in den 80ern – nicht ohne ein Schmunzeln erzählt – hin und wieder im Stricken im Unterricht zeitgleich mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag äußerte. – Immerhin durfte sich der Klassenlehrer im Anschluss über den selbstgestrickten Pullover als Weihnachtsgeschenk freuen. Was hier als amüsante Anekdote erscheint, zeigt tiefergehend, wie unmittelbar die Geschichte der hauswirtschaftlichen Schulen mit gesellschaftlichen Ereignissen verwoben war.
Mit der zunehmenden Schülerzahl wurde 1984 schließlich ein größerer Umbau notwendig, bei welchem große Klassenräume geteilt wurden, um den Unterricht für die wachsende Zahl an Klassen zu ermöglichen. Im Zuge dessen wurden die Lehrküchen modernisiert und eine professionelle Großküche eingerichtet, damit die Berufskollegs von der Außenstelle eingegliedert werden konnten. Im November 1986 erhielt die Schule offiziell ihren heutigen Namen als Hedwig-Dohm-Schule. Vor 11 Jahren fand mit dem Umzug in einen modernen Neubau ein weiterer großer Schritt in der Geschichte der Schule statt. Hierbei wurde die Hedwig-Dohm-Schule durch einige Schularten der Hauswirtschaftlichen Schule Stuttgart-Ost bereichert. So werden seit dem 9. September 2013 in der Hedwig-Dohm-Schule in der Hedwig-Dohm-Straße 3 neben dem Stuttgarter Pragfriedhof in zentraler Lage über 1000 Schülerinnen und Schüler von über 100 Lehrkräften in 18 verschiedenen Schularten – von der Berufsschule und Berufsfachschulen über die Fachschulen und Berufskollegs bis hin zum Beruflichen Gymnasium unterrichtet.
So ist in 150 Jahren in einer bewegten Entwicklungsgeschichte von der Frauenarbeitsschule von 1874 bis heute die moderne und weltoffene Hedwig-Dohm-Schule geworden, die sich über den Stuttgarter Raum hinaus großer Beliebtheit erfreut und jedes Jahr aufs Neue zahlreiche junge Menschen anzieht, die an diesem Ort ihren Grundstein für eine erfolgreiche berufliche Zukunft legen. Über all die ereignisreichen Jahrzehnte an verschiedenen Standorten hinweg ist die Schule ihrem pädagogischen Erfolgsrezept, welches die ehemalige Rektorin Hedwig Rieth vor 70 Jahren weise auf den Punkt gebracht hat, jedoch immer treu geblieben: „Die Erkenntnis, dass die Persönlichkeit vor der Sache steht.“ Kein Wunder, dass das heutige Leitbild der Schule auf den drei Säulen „Kulturelle Vielfalt“, „Persönliche Atmosphäre“ und „Individuelle Bildungskarriere“ fußt. https://hedwig-dohm-schule.de/leitbild/
Text: Katalin Suhai Bilder: Christiane Stumber